Rückwirkung von Gesetzen (de)
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Vom allgemeinen Rückwirkungsverbot im Rechtsstaat gibt es Ausnahmen. Als allgemeine Grundsätze gelten:
- Das Verhalten, das unter die rückwirkende Regelung fällt, muss faktisch nachholbar sein - auch nach Inkrafttreten des Gesetzes bzw. des Gerichtsurteils. Möglich ist dies vor allem bei Geldzahlungen, zum Beispiel bei staatlichen Entschädigungsleistungen wegen verfassungswidriger Observanz.
- Bei der Rückwirkung von Strafgesetzen ist jedoch stets zugunsten des/der Angeklagten zu entscheiden (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG).
- Begünstigende Gesetze mit Rückwirkung stellen prinzipiell keinen Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip dar. Dies unterstreicht auch § 2 Abs. 3 StGB.
Die deutschen Juristinnen und Juristen unterscheiden zwischen einer
- echten Rückwirkung und einer
- unechten Rückwirkung.
Bundesverfassungsgerichtsentscheid
Am 23.03.1971 erklärte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit seiner Entscheidung BVerfGE 30,367 die neue Fassung des Bundesentschädigungsgesetzes, geändert durch das BEG-Schlussgesetz vom 14.09.1965, für verfassungswidrig. Durch die Gesetzesänderung war der Stichtag 01.10.1953 rückwirkend bestimmt worden, mit dem Entschädigungsansprüche nun ausgeschlossen werden sollten, die nach diesem Stichtag entstanden waren. Dies war verfassungswidrig, weil die Regelung des § 150 Abs. 2 BEG in neuer Fassung gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG verstieß.
Ein rückwirkendes „Verschlechterungsgesetz“ ist für das deutsche Strafrecht kategorisch ausgeschlossen. Retroaktive Rückwirkung in diesem – verbotenen - Sinn liegt auch vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Verwaltungstatbestände eingreift. Retrospektive, d.h. unechte Rückwirkung liegt dagegen vor, wenn auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen gesetzlich eingewirkt wird. Die deutsche Verfassung schützt grundsätzlich das Vertrauen seiner Bürgerinnen und Bürger darauf, dass die mit abgeschlossenen Tatbeständen verknüpften gesetzlichen Rechtsfolgen anerkannt bleiben.
Das BEG-Schlussgesetz, das den Anspruchstatbestand des § 150 BEG in der alten Fassung rückwirkend durch einen Stichtag beschränkte, stellte für diejenigen Betroffenen, die damit von einer Entschädigung ausgeschlossen wurden, die ihnen vorher gesetzlich zustand, eine belastende Regelung mit retroaktiver Rückwirkung dar. Die Verfassungsbeschwerden waren daher begründet.
Ein Schutz des Vertrauens wäre nur dann nicht gefordert, wenn in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird (hier: 01.10.1953), mit einer solchen Fristenregelung schon zu rechnen war. Dies war hier nicht der Fall. Die Beschwerdeführer wurden durch das BEG-Schlussgesetz in ihrem berechtigten Vertrauen auf die geltende Rechtslage enttäuscht. Eine tatsächlich nicht unerhebliche Verschlechterung dieser Rechtslage für Betroffene macht eine rückwirkende Gesetzesänderung im Rechtsstaat ungültig. Die vom Gesetzgeber angestrebte Erleichterung für Behörden und Gerichte bei der Abwicklung der Entschädigungsansprüche – z.B. von Vertriebenen gemäß § 1 BVFG – rechtfertigte keine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der echten Rückwirkung belastender Gesetze. Somit war der neue § 150 BEG rückwirkend nichtig, die angegriffenen Urteile des Bundesgerichtshofs wurden aufgehoben und die Verfahren wurden an das Landgericht zurückverwiesen.
Siehe auch
Den Begriff Rückwirkung UND Gesetz im deutschen juristischen Web finden
Den Begriff "BVerfGE 30, 367" im deutschen juristischen Web finden